
- Februar 19, 2021Februar 19, 2021
Am 25. Januar 2021 erschien eine neue Studie, welche »zehn goldene Regeln« bei der Aufforstung beschreibt. Der Titel der Forschungsarbeit von Alice Di Sacco, Kate A. Hardwick und Kollegen lautet vollständig (meine Übersetzung): »Die zehn goldenen Regeln bei der Aufforstung hinsichtlich der Optimierung der Kohlenstoffbindung, der Erhöhung der Biodiversität sowie der Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen« (Ten golden rules for reforestation to optimize carbon sequestration, biodiversity recovery and livelihood benefits).
Nachfolgend die per deepl übersetzte Zusammenfassung (»abstract«) der Studie.
Zusammenfassung
Dringende Lösungen für den globalen Klimawandel sind notwendig. Ehrgeizige Baumpflanzungsinitiativen, von denen viele bereits im Gange sind, zielen darauf ab, enorme Mengen an Kohlenstoff zu binden, um die anthropogenen CO2-Emissionen, die eine Hauptursache für den globalen Temperaturanstieg sind, teilweise auszugleichen. Schlecht geplante und ausgeführte Baumpflanzungen könnten jedoch die CO2-Emissionen erhöhen und langfristige, schädliche Auswirkungen auf die Artenvielfalt, Landschaften und Lebensgrundlagen haben.
Hier zeigen wir die wichtigsten Umweltrisiken von großflächigen Baumpflanzungen auf und schlagen 10 goldene Regeln vor, die auf einigen der neuesten ökologischen Forschungsergebnisse basieren, um die Wiederherstellung von Waldökosystemen zu implementieren, die sowohl die Kohlenstoffbindung als auch die Wiederherstellung der Artenvielfalt maximieren und gleichzeitig die Lebensgrundlagen verbessern. Diese sind wie folgt:
(1) Schützen Sie zuerst den bestehenden Wald;
(2) Arbeiten Sie zusammen (unter Einbeziehung aller Interessengruppen);
(3) Streben Sie eine maximale Wiederherstellung der Artenvielfalt an, um mehrere Ziele zu erreichen;
(4) Wählen Sie geeignete Gebiete für die Wiederherstellung aus;
(5) Nutzen Sie natürliche Regeneration, wo immer dies möglich ist;
(6) Wählen Sie Arten aus, um die Artenvielfalt zu maximieren;
(7) Verwenden Sie widerstandsfähiges Pflanzenmaterial (mit geeigneter genetischer Variabilität und Herkunft);
(8) Planen Sie vorausschauend für Infrastruktur, Kapazität und Saatgutversorgung;
(9) Lernen Sie durch Handeln (unter Verwendung eines adaptiven Managementansatzes); und
(10) Sorgen Sie dafür, dass es sich lohnt (um die wirtschaftliche Nachhaltigkeit des Projekts sicherzustellen).
Wir konzentrieren uns auf die Entwicklung langfristiger Strategien zur Bewältigung der Klima- und Biodiversitätskrise und zur Unterstützung der Lebensgrundlagen. Wir betonen die Rolle der lokalen Gemeinschaften als Quelle einheimischen Wissens und den Nutzen, den sie aus einer erfolgreichen Wiederaufforstung ziehen können, die die Funktion des Ökosystems wiederherstellt und eine breite Palette von Waldprodukten und -dienstleistungen liefert. Obwohl es kein einfaches und universelles Rezept für die Wiederherstellung von Wäldern gibt, ist es entscheidend, auf dem derzeit wachsenden öffentlichen und privaten Interesse an diesem Thema aufzubauen, um sicherzustellen, dass Interventionen effektive, langfristige Kohlenstoffsenken schaffen und den Nutzen für die biologische Vielfalt und die Menschen maximieren.
Ein Teilnehmer der von der Permakultur Akademie gehosteten Mailingliste äußerte sich kritisch zu dem Papier. Insbesondere die Punkte (6) »Wählen Sie Arten aus, um die Artenvielfalt zu maximieren« und (7) »Verwenden Sie widerstandsfähiges Pflanzenmaterial (mit geeigneter genetischer Variabilität und Herkunft)« seien heikel, »da so Gebietsfremde Arten eingeschleppt werden können. Nicht immer ist die stärkste Art mit dem größten wirtschaftlichen Nutzen (Wirtschaftliche Nachhaltigkeit ist nicht gleichzusetzen mit Gewinnmaximierung) die beste Möglichkeit. Eine gewisse Nutzer-Orientierung finde ich dennoch gut, damit die Menschen den [neuen] Wald nutzen – und nicht zerstören und durch etwas Nutzbares ersetzen.«
Ich möchte in dem Zusammenhang auch auf mein Buchkapitel zu internationalen Aufforstungsprogrammen wie der »Bonn Challenge« hinweisen. Dort hatte ich etwa die Praxis-Empfehlungen des World Ressources Institute zusammengefasst. Abschließend der entsprechende Ausschnitt aus dem Buchkapitel ab Seite 207:
Die Prinzipien des Konzepts »Forest Landscape Restoration«
Die »Wiederherstellung von Forst- und Waldlandschaften« (Forest Landscape Restoration, FLR) ist ein interessanter Ansatz, der auf die Wiederherstellung der ökologischen Unversehrtheit von beschädigten Flächen und auch des damit zusammenhängenden Wohlergehens der menschlichen Anwohner zielt. Erreicht werden soll dies durch die Schaffung von »multifunktionalen« Landschaften. Das Konzept erweitert einige enger gefasste Ansätze zur ökologischen Wiederherstellung, Aufforstung und Wiederaufforstung, indem es jeweils eine Vielzahl an Landnutzungsmöglichkeiten und Wiederherstellungsmaßnahmen ins Auge fasst.
Das Ziel besteht hier immer darin, Mensch und Natur zu multiplen Vorteilen zu verhelfen. Als Forst- und Waldlandschaften werden dabei alle Flächen bezeichnet, die früher einmal von Bäumen bestanden waren oder die von Gehölzpflanzungen (darunter auch Bambus) profitieren können. Zu solchen Landschaften zählen etwa landwirtschaftliche Zonen, wo auf Farmen gepflanzte Bäume zu einer Ertragssteigerung beitragen können, oder auch Küstenregionen, in denen Mangroven eine Rolle beim Schutz vor Naturkatastrophen und als Rohstoffquelle spielen.
Zentral für das FLR-Konzept sind die folgenden Prinzipien: 2
- Multifunktionalität: Das Ziel jedes einzelnen Projekts besteht darin, ein von allen Beteiligten gebilligtes, ausgewogenes Paket an Landschaftsfunktionen wiederherzustellen. Die Flächen werden so wiederhergestellt und verwaltet, dass die Ökosysteme in einer zuvor abgestimmten ausgewogenen Weise arbeiten und von den Menschen genutzt werden können. Keinesfalls geht es einfach nur darum, die Bewaldungsrate zu erhöhen oder die ursprünglichen Wälder aufleben zu lassen. Die Landschaft wieder in ihren Urzustand zu versetzen, ist immer nur eine Lösungsmöglichkeit unter vielen. (Anmerkung J. S.: Wie bereits aus einigen der vorangegangenen Kapiteln deutlich geworden ist, sollte man sich vor der leichtfertigen Annahme hüten, dass die Anwohnerschaft eines wiederzubegrünenden Gebiets in jedem Fall Feuer und Flamme für derartige Pläne sei. Manchmal gibt es unüberbrückbare Widersprüche in der gewohnten Landnutzung; und manchmal lassen sich anfängliche Bedenken durch Gespräche auflösen. Grundsätzlich erscheint mir deshalb der nachfolgende Punkt in der Liste der Prinzipien als äußerst wichtig.)
- Einbeziehung aller Beteiligten: Die Bewohner vor Ort werden aktiv in die Entscheidungsfindung und Umsetzung einbezogen. Unter allen Interessengruppen finden aktive Verhandlungen und Zusammenarbeit statt.
- Landschaften, nicht nur einzelne Orte: Es werden nicht nur einzelne, isolierte Flächen wiederhergestellt, sondern ganze Landschaften, die eine Vielzahl an Landnutzungsmöglichkeiten bieten. Anders als bei der bloß punktuellen, örtlichen Wiederherstellung lassen sich hier bei konkurrierenden Interessenlagen eher Kompromisse erarbeiten und Konflikte begrenzen.
- Flexible Maßnahmenwahl: In Betracht wird jeweils eine ganze Bandbreite an Wiederherstellungsoptionen gezogen. Von der eher passiven Schonung einer Fläche bis hin zur aktiven Aufforstung – zur Anwendung kommt immer die jeweils angemessenste Lösung.
- Schutz der natürlichen Ökosysteme: Eine weitere Reduzierung der natürlichen Bewaldung sowie anderer Ökosysteme wird unter allen Umständen vermieden.
- Beobachten und anpassen: Lösungen müssen auf die jeweiligen lokalen Verhältnisse maßgeschneidert sein. Dies erfordert ein kontinuierliches Erforschen dieser Gegebenheiten sowie die Anpassung an ihre Veränderungen.
Eine wiederhergestellte Landschaft kann dem Konzept zufolge eine Vielfalt an Landnutzungsformen erlauben, etwa Landwirtschaft, ökologische Schutzflächen und Korridore, sich selbst überlassene Wälder, intensiv bewirtschaftete Plantagen, Agroforstsysteme und Uferbepflanzungen zum Schutz von Wasserläufen. Eine Wiederherstellung muss die Produktion von Nahrungsmitteln ergänzen und unterstützen; sie darf keinesfalls dazu führen, dass naturnah gewachsene Wälder später doch wieder in Plantagen umgewandelt werden.
Die jeweils angemessensten Wiederherstellungsziele und -strategien hängen von den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Gegebenheiten ebenso ab wie von den nationalen oder globalen Zielsetzungen. Beispiele hierfür sind etwa:
- die Agroforstwirtschaft, welche unter anderem in Niger, Ruanda und Äthiopien zum Erfolg bei der Bodenverbesserung, Energieversorgung und Erhöhung der Ernährungssicherheit beitrug;
- die Schonung von Waldlandschaften durch viehhaltende Dorfgemeinschaften im nördlichen Tansania, was in der Trockenzeit zusätzliche Futterquellen garantiert;
- die Wiederherstellung natürlicher Habitate auf degradiertem Weideland in Costa Rica, was die Entwicklung des Ökotourismus ermöglichte;
- die Lenkung des Palmölanbaus im Sinn einer verbesserten Produktivitiät des degradierten Lands als eine Alternative zur weiteren Abholzung in Indonesien;
- das Management der natürlichen Regeneration in wichtigen Wassereinzugsgebieten zur Absicherung der Wasserversorgung großer Städte wie Peking und Rio;
- landesweite Aufforstungen verödeter Landschaften, wie in Südkorea geschehen;
- die Wiederherstellung und Bepflanzung zur Unterstützung der Erholung des Wassereinzugsgebiets des South Platte River in den USA, wo katastrophale Waldbrände gewütet hatten;
- die weiträumigen Agroforstwirtschafts-Maßnahmen zur Erhöhung der Nahrungsmittelproduktivität des völlig degenerierten Bodens auf dem riesigen chinesischen Lössplateau (siehe Seite 37);
- die ökologische Wiederherstellung und verbesserte Verbindung der verbliebenen Teile des Atlantischen Regenwaldsystems der brasilianischen Mata-Atlântica-Region (siehe Seite 156) sowie die Wiederherstellung des Graslands in der Cerrado unter Zuhilfenahme von Gehölzpflanzen (ebenfalls Brasilien);
- die aktive Wiederherstellung von Mangrovenwäldern zur Verbesserung der für die Fischerei wichtigen Fischbestände. Auf Costa Ricas Chira-Insel half diese Maßnahme auch dabei, den Ökotourismus zu etablieren. In Vietnam konnten damit die Erhaltungskosten für Dämme gesenkt werden.
Diese Beispiele verdeutlichen, dass bei der Wiederherstellung von Forst- und Waldlandschaften der jeweilige Kontext eine große Rolle spielt. Ob sich eine bestimmte Landnutzungs- und Wiederherstellungsstrategie in Einklang mit dem FLR-Ansatz bringen lässt, mag von Faktoren wie der Größenordnung, der umliegenden Landnutzung oder dem partizipatorischen Prozess abhängen, in dessen Rahmen über die zukünftige Nutzung einer Landschaft bestimmt wird.
Wenn Länder erfolgreiche Landschaftswiederherstellung betreiben wollen, so sind nach Einschätzung des World Ressources Institute (WRI) drei Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen.
- Länder, die bereits Erfolge bei solchen Maßnahmen verzeichnen konnten, wurden durch eine große Bandbreite an in Aussicht gestellten Vorteilen motiviert. Dazu zählen: verbesserte Wasserqualität, Erhalt der Bodenfruchtbarkeit, Verfügbarkeit der Ressource Holz, Schaffung von Arbeitsplätzen. In letzter Zeit kamen noch der Fokus auf (menschliche) Erholung hinzu, Erhalt der Vielfalt an Wildtieren und -pflanzen sowie die Entschärfung der Folgen des Klimawandels.
- Es hat sich gezeigt, dass die gefühlte Wertigkeit dieser Nutzen über die Zeit zu- und abnehmen kann. So wurde die Wiederaufforstung etwa in den südlichen USA in den 1920er Jahren vor allem vom Wunsch angetrieben, Wassereinzugsgebiete zu schützen, der Bodenerosion zu begegnen und den Holzbedarf zu sichern. Während der großen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre ging es vorrangig darum, Jobs zu schaffen. In den 1960ern stand der Erholungswert im Vordergrund und in den darauffolgenden Jahrzehnten gesellten sich die Ziele Artenschutz sowie Umgang mit dem Klimawandel hinzu.
- Drei allgemeine Aspekte wurden identifiziert, die sich als wichtig für den Erfolg von Maßnahmen herausstellten: 1.) Die klare Motivation: Entscheidungsträger, Landbesitzer und/oder Bürger wurden inspiriert bzw. motiviert, Wälder und locker bewaldete Landschaften wiederherzustellen. 2.) Die ökologischen, wirtschaftlichen, politischen, sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen waren gewährleistet. 3.) Die nötigen Ressourcen und Kapazitäten waren vor Ort verfügbar und wurden in nachhaltig sinnvoller Weise für die Umsetzung der Maßnahme eingesetzt.
In verschiedenen Fallstudien erwiesen sich laut WRI jeweils unterschiedliche Faktoren als wichtig; dies unterstreiche die Bedeutung des Kontexts. Es gebe nicht den einen großen Faktor, der für erfolgreiche Maßnahmen bedacht werden wolle; vielmehr zeige sich typischerweise eine Kombination wichtiger Faktoren, die untereinander in einer jeweils unterschiedlich gelagerten Beziehung stehen. So habe sich beispielsweise ein Monitoring des bereits im Projekt Erreichten als hilfreich erwiesen, weil auf diese Weise Umsetzungsstrategien angepasst werden konnten. Zudem würden die beteiligten Menschen durch eine Veröffentlichung von Erfolgen und Nutzen motiviert, ihre Anstrengungen bei der Wiederbegrünung weiter zu intensivieren.
Der Geograf und Forstwissenschaftler Robert Winterbottom war bis zu seiner Pensionierung 2017 leitender Wissenschaftler am World Resources Institute. Zur Bonner Herausforderung sagte er: »Wenn wir das festgelegte Ziel erreichen wollen, müssen wir jedes Jahr etwa 23 Millionen Hektar Land wiederherstellen. Mit reinem Bäumepflanzen kommen wir da nicht weiter. Der Schlüssel, um wirklich Hunderte Millionen Hektar zu renaturieren, liegt in einfachen und effektiven Methoden und in der Beteiligung der lokalen, ländlichen Bevölkerung mit Millionen von Kleinbauern.«